Vor einem Jahr haben wir die deutschen Medien aufgefordert, mehr Frauen in Spitzenpositionen zu bringen. Und nun? Von Annette Bruhns

Dreißig Prozent auf jeder Führungsebene? Mein Gesprächspartner lachte ins Telefon. “Auf manchen Ebenen gibt es da ein rechnerisches Problem”, sagte er. “In der Chefredaktion zum Beispiel. Da gibt es nur zwei Posten.”

Einen davon hatte er, stellvertretender Chefredakteur der Mittelbayerischen Zeitung. Ein netter Mann, und rechnen kann er auch. Dreißig Prozent von zwei, das ergibt was Krummes. Da müsste man die Frau ja stückeln. Im Übrigen: Pi mal Daumen hat seine Zeitung ja schon 30 Prozent Frauen in Führung. Nur eben – nicht ganz oben.

Entweder hatte der Kollege unseren Brief nicht genau gelesen, den wir vor einem Jahr verschickt hatten, oder es fehlte ihm an Vorstellungskraft. Wir Journalistinnen und Journalisten – inzwischen an die 4000 – haben “mindestens” 30 Prozent Frauen in Führung gefordert. 50 Prozent nähmen wir auch. Sogar 100.

Wir können auch Chefredakteurin. Mehr als ein Dutzend Frauen in Deutschland beweist das tagtäglich. Auch wenn 98 Prozent aller deutschen Zeitungschefs immer noch Männer sind.

Managerinnen wollen in die Vorstände, Juristinnen in die Aufsichtsräte, Politikerinnen sitzen längst – auch dank Quote – im Kabinett. Wieso sollten Journalistinnen sich mit unteren Etagen begnügen? ProQuote hat die 30 Prozent auf jeder Hierarchieebene gefordert. Als Einstieg in eine (Medien-)Welt, in der Männer und Frauen endlich gemeinsam sagen, was Sache ist.

In Deutschland machen meist Männer Meinung. Mehrheitlich sind sie es, die bestimmen, ob der stern dem Papst Respekt zollt, der Focus die Frauenquote für Quatsch erklärt oder der Spiegel Merkels Waffendeals zum Titel macht. Und als ARD und ZDF unter dem Slogan “Freie Medien für freie Meinungen” im Herbst für ihre Gebühren warben, fielen ihnen als Botschafter nur prominente Männer ein: Heiner Geißler, Michael Otto, Uli Hoeneß und Tim Bendzko.

Anderes Beispiel: Eine Kanzlerin kann Panzer nach Saudi-Arabien schicken, wird aber fast nie von einer Journalistin dafür zur Rede gestellt. In dieser Legislaturperiode haben 206 Männer Angela Merkel interviewt. Aber nur 21 Frauen durften ihr das Mikro hinhalten. Zur Bundeskanzlerin schickt man eben nur Chefredakteure, Chefreporter, Chefkommentatoren. Und das sind in der Regel Männer.

Es war eine spektakuläre Aktion, als ProQuote vor einem Jahr von den Chefredakteuren, Intendanten und Herausgebern dieses Landes mit einem Brief die Einführung der Quote forderte. 350 Journalistinnen aus ganz Deutschland hatten sich heimlich abgesprochen und ihre Fotos und Erklärungen auf eine Website gestellt. Kolleginnen aller Medien, Prominente wie Anne Will, Antonia Rados oder Führungskräfte wie die Deutsche Welle-Chefredakteurin Dagmar Engel. Und auch viele freie Journalistinnen und Nachwuchskräfte. Sie alle fragten die Adressaten freundlich: Schaffen Sie das, bis 2017 30 Prozent aller Führungsposten mit Frauen zu besetzen?

Zweimal hat ProQuote bei den mehr als 200 Angeschriebenen nachgehakt. Ein Viertel hat inzwischen geantwortet. Einige mit echtem Pioniergeist: Die ZEIT hatte schon im März 2012 öffentlich verkündet: Kolleginnen, wir machen das. Seitdem ist der Frauenführungsanteil in der ZEIT auf 30,4 Prozent gestiegen; im November ist dort Sabine Rückert Vize-Chefredakteurin geworden.

Der Chefredakteur des Spiegels, Georg Mascolo, hielt die Quote damals “nicht für das richtige Mittel”. Er werde sich aber dafür einsetzen, dass man dem Ziel “einen großen Schritt” näher komme. Und in der Tat: Vor einem Jahr gab es drei stellvertretende Leiterinnen bei den Textressorts, heute sind es fünf. Plus eine Frau, die das Ressort Ausland führt. Die vier Männer in der Chefredaktion sind aber weiterhin unter sich.

Durchschnittszahlen zeigen oft nämlich nicht die ganze Wahrheit. Das Hamburger Abendblatt, eine große Regionalzeitung des Springer-Verlags, vermeldete stolz, man habe bereits längst den Frauenführungsanteil von 30 Prozent überschritten. Nachfrage: Wer führt die Chefredaktion? Antwort: Acht Männer, null Frauen.

Auch der Intendant des Zweiten Deutschen Fernsehens hat uns geantwortet. Allerdings erst zehn Monate später. Nachdem ProQuote eine komplette Ausgabe der tageszeitung zur Quote gestaltet hatte, nachdem sogar das hauseigene Magazin Frontal 21 auf uns aufmerksam geworden war, nachdem wir vom medium magazin zu den “Journalistinnen des Jahres” gekürt und dafür bei der Bild-Zeitung auf der Titelseite erwähnt worden waren. Da endlich fand man wohl auch in Mainz, man solle uns mal antworten.

35,4 Prozent der Führungsposten im ZDF seien mit Frauen besetzt, ließ Thomas Bellut uns knapp ausrichten. Vor 20 Jahren seien es nur 6,8 Prozent gewesen. Man werde sich kontinuierlich verbessern, “ohne starre Quotenvorgabe”.

Gewiss: In weiteren 20 Jahren werden Frauen dann wohl auch die Intendanz des ZDF übernommen haben. Heute weist die Spitze des ZDF nämlich null Prozent aus. Vier Männer, keine Frau, verantworten die Programme des öffentlich-rechtlichen Senders. Und auch die wichtigen Hauptabteilungen werden alle von Männern geleitet: Politik, Aktuelles, Wirtschaft und Soziales, Kultur und Wissenschaft, Sport, Unterhaltung.

Im Jahr 2033, vielleicht früher, vielleicht später. Ob die Gebührenzahlerin so viel Geduld hat? Kollegen wie der Mann vom Abendblatt, der Mittelbayerischen Zeitung oder ZDF-Intendant Bellut gehören übrigens zu den cleveren Medienchefs. Sie reden mit uns von ProQuote. Sie haben erkannt, dass Frauen – Leserinnen, Zuschauerinnen und Zuhörerinnen – wichtig sind.

Damit sind sie anderen weit voraus: den vielen Aussitzern. Denen, die immer noch nicht auf unseren Brief geantwortet haben und unsere Nachfragen ignorieren. Fast drei Viertel aller Meinungsmacher übergehen stillschweigend den eigenen Männerbonus. Darunter so prominente wie Frank Schirrmacher, Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), der die kaltherzige Gesellschaft gerade mal wieder mit einem Buch, Ego, aufrütteln will.

Die größten Schweiger leiten ausgerechnet die wichtigsten Zeitungen. In der FAZ und der Süddeutschen Zeitung erscheinen jeden Tag großartige Artikel von Journalistinnen. Und es haben auch großartige Kolleginnen beider Blätter vor einem Jahr bei ProQuote unterzeichnet. Im Impressum: nach wie vor Fehlanzeige. Beide Leitmedien haben je zwei Frauen in Führung, auf den unteren Ebenen. Macht pro Redaktion rund neun Prozent.

Eine befreundete Ärztin ärgerte sich mal, dass wir uns nur um das Los von Frauen kümmerten. In Wahrheit sei der deutsche Mann arm dran, und zwar von Beginn an: Dreimal so viele Jungen nehmen sich das Leben wie Mädchen, deutlich mehr Jungen als Mädchen schmeißen die Schule. “Es sind Männer”, entgegnete ich ihr, “die nicht über die Schwächen ihres Geschlechts berichten. Frauen bestimmen selten, was Thema ist in Deutschland.”

Sie war baff. Im Fernsehen wirken Medien immer so weiblich, so blond, so schlank, schön und eloquent. Die Wahrheit steht im Abspann.

Annette Bruhns, seit 1995 “Spiegel”-Redakteurin, ist Vorsitzende des Vereins ProQuote

 

 

 

Querverweis: Mit dem Begriff Frauen* beziehen wir uns auf alle Personen, die sich als Frauen identifizieren oder von der Gesellschaft als Frauen gelesen werden, einschließlich Transfrauen, Intersexuellen, Nonbinary Personen und allen, die sich mit dem weiblichen Spektrum identifizieren, um die Vielfalt und Komplexität von Geschlechtsidentitäten anzuerkennen und einzuschließen.

Sitemap

Kontakt

040 / 257 647 31

presse@pro-quote.de

kontakt@pro-quote.de

Postanschrift Geschäftsstelle:
ProQuote Medien e.V.
Am Felde 13, 22765 Hamburg

© 2024 ProQuote Medien e.V.