Gut zwei Monate nach dem Start des Onlinemagazins Krautreporter erklärt Chefredakteur Alexander von Streit den eklatanten Frauenmangel in der Autorenschaft. Und was er dagegen unternehmen will.
Pro Quote: Unabhängig sein, gegen den „kaputten Onlinejournalismus“ vorgehen – die Krautreporter wollen in unserer Branche einiges besser machen. Wieso sind Sie dann mit einem so unausgewogenen Geschlechterverhältnis – 22 Männern gegenüber sechs Frauen – an den Start gegangen?
Alexander von Streit: Die Werdung von Krautreporter ist ein dynamischer Prozess gewesen. Das war nichts, was ein Jahr lang am Reißbrett geplant worden ist, sondern das war eine Aktion der Stunde, eine Idee von Leuten, die sich hingesetzt haben, um dieses Idee umzusetzen. Tatsächlich haben wir uns am Anfang über das Geschlechterverhältnis nicht sehr viele Gedanken gemacht. Wir haben allerdings schon bemerkt, dass das Team männerlastig ist und haben das auch als Problem erkannt. Wir haben dann im Laufe dieses Erkenntnisprozesses nicht aktiv genug dagegen gesteuert. Das lag aber auch daran, dass wir wahnsinnig viele Themen hatten, die wir zu bewältigen hatten, im Rahmen dieses wirklich sehr ehrgeizigen und großen Projektes.
Wie kam die Zusammensetzung des Reporter-Teams überhaupt zustande?
Wir – Sebastian Esser, Philipp Schwörbel und ich – haben zusammen gebrainstormt: Wen kennen wir denn so durch Zusammenarbeit, wen kennen wir persönlich. Die Leute, von denen wir meinten, die wollen wir ansprechen, haben wir angesprochen. Und von denen kamen dann noch weitere Vorschläge für Kandidaten. Wir haben ja keine Ausschreibung gemacht, weil wir die Kampagne im Verborgenen vorbereitet haben.
Bereits am 28. Februar postete Krautreporter Tilo Jung auf Facebook ein Bild, auf dem stand: „Was fehlt? Frauen.“ Kam an der Stelle nicht die Idee auf, eine Quote einzuführen?
Dieser Post war das Ergebnis dieser Diskussion, die wir in der Gruppe darüber hatten. Es gab aber keine Diskussion über eine Quote, glaube ich.
Kritiker bezeichnen diese wenig gendersensible Herangehensweise als unprofessionell. Was sagen Sie dazu?
Das ist ein wichtiges, aber nicht das einzige Thema, das es im Rahmen eines solchen Projektes zu beachten gibt und deswegen würde ich es nicht als unprofessionell bezeichnen, wenn man sich die Gender-Brille nicht aufsetzt. Sondern es ist ein Versäumnis.
Sind Sie manchmal von der Debatte um die Wechselwirkung zwischen Team und Themen genervt oder erkennen bei sich selbst ein widersprüchliches Reagieren?
Also, ich bin da total widersprüchlich. Aber ich würde mich erstmal als sehr reflektierten Menschen einschätzen. Ich bin sehr daran interessiert, dass unsere Gesellschaft besser wird und auch, dass das Problem der Unausgewogenheit in Bezug auf das Geschlechterverhältnis in allen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Bereichen besser wird. Auf der anderen Seite bin ich manchmal genervt von der Vehemenz, wie so etwas an mich herangetragen wird. Da werden sehr schnell und laut Dinge gefordert, und wenn man die nicht sofort einlöst, ist man gleich auf der bösen Seite.
Können Sie der Kritik also gar nichts abgewinnen?
Eine Erkenntnis, die ich aus der Debatte um Krautreporter für mich gezogen habe, ist, obwohl sie vielleicht trivial erscheinen mag: Männer, zumindest kann ich das auf mein persönliches Netzwerk beziehen, haben in der Regel männerdominierte Netzwerke. Das verengt bei der Frage „Wer könnte mit mir zusammenarbeiten?“ etwas den Blick. Das ist die Brille, die ich mir seitdem aufsetze und mit der ich versuche, meine Entscheidung, warum ich mich für oder gegen jemanden entscheide, auch zu hinterfragen.
Und hat diese neue Erkenntnis auch schon zu konkreten Schritten geführt?
Fast alle Positionen, die wir im Kernteam zusätzlich besetzen konnten, haben wir inzwischen mit Frauen besetzt. Etwa meine Textchefin Vera Fröhlich, mit der ich eng zusammenarbeite, unterstützt von Susan Mücke, die bei uns die Dokumentation macht. Dann besteht das Kernteam noch aus mir, Sebastian Esser und Philipp Schwörbel, dazu kommen Frederik Fischer und Jessica Weber, die auch Community macht, ebenso wie Thanh Nguyen, die die Geschäftsführung unterstützt.
Aber in der Auswahl neuer Autoren hat sich dieses Bewusstsein noch nicht niedergeschlagen?
Bei der Auswahl der Autoren – und das ist meine tiefe Überzeugung – darf das Geschlecht nicht das primäre Kriterium sein. Das primäre Kriterium ist die Story, die jemand anbieten kann. An zweiter Stelle: die Story in Verbindung mit der Person des Autors. Es kann natürlich durchaus richtig sein, dass bestimmte Themen von einem Mann oder von einer Frau besser beschrieben werden, in Verbindung mit einer bestimmten Biografie, die dahinter steht. Ich würde nie eine Geschichte ablehnen, die richtig gut ist, nur weil sie schon wieder von einem Mann stammt. Das entspricht nicht meinem journalistischen Verständnis. Genauso wenig würde ich eine Frau bevorzugen, die mir vielleicht ein Thema anbietet, das ich nicht gut finde, nur damit wir noch eine weitere Autorin haben.
Und wenn das gleiche Thema von einem Autor und eine Autorin angeboten wird?
Wenn eine Behörde eine Stelle ausschreibt und sagt, Frauen werden bei gleicher Eignung bevorzugt – diese Vergleichbarkeit gibt es bei einem Storyangebot in der Regel nicht. Insofern stehe ich nicht vor dieser Entscheidung und werde wahrscheinlich auch nie vor ihr stehen. Der Fall, dass mir eine Autorin und ein Autor mit dem gleichen Kompetenzhintergrund die gleiche Geschichte anbieten, ist einfach nicht realistisch.