Neue Studie von ProQuote Medien: Führungsfrauen in den Medien – Wie Care-Arbeit und fehlende Förderung den Weg nach oben erschweren

Berlin, 9. Oktober 2024 – In den Führungsetagen deutscher Redaktionen haben nach wie vor hauptsächlich Männer das Sagen – obwohl der Frauenanteil im Journalismus seit vielen Jahren ansteigt. Woran liegt es, dass sich die ungleiche Machtverteilung zwischen den Geschlechtern so hartnäckig hält? Und was muss geschehen, damit sich das ändert? Diese Fragen untersucht die qualitative Studie von ProQuote Medien: „Führungsfrauen in den Medien: der harte Weg nach oben“. Sie wird heute in Berlin der Öffentlichkeit vorgestellt.

Die Studie analysiert zunächst die aktuelle Situation der Journalistinnen: Demnach geht die Schere zwischen den Karriereverläufen von Journalistinnen und Journalisten vor allem in der Altersspanne zwischen 30 und 39 Jahren auseinander. In dieser Zeit übernehmen Männer deutlich häufiger leitende redaktionelle Positionen als Frauen. Journalistinnen sind zugleich stärker in der Care-Arbeit für Kinder und Angehörige engagiert als Journalisten. Diese Erkenntnisse basieren auf quantitativen Befunden der repräsentativen Journalist*innen-Befragung „Worlds of Journalism“ des Leibniz-Instituts für Medienforschung.

“Das ist das entscheidende Jahrzehnt, in dem Männer ihre Karriere ausbauen und viel zu viele Frauen zerrissen sind zwischen Job und junger Familie”, so ProQuote-Vorstandsvorsitzende Corinna Cerruti. “Die Studie zeigt, dass genau hier Verlage und Medienhäuser ansetzen sollten, wenn sie qualifizierte Frauen in Führung halten möchten: Durch konkrete Angebote wie flexibler Arbeitszeit und Kinderbetreuung und Vorbildern im Unternehmen, die zeigen, dass Care-Arbeit nicht automatisch Frauensache ist, sondern auf beide Partner verteilt wird.”

Um die neuralgischen Punkte in weiblichen Karrierebiografien genauer zu untersuchen, hat das Studienteam in einer qualitativen Untersuchung 30 führende Journalistinnen aus regionalen und überregionalen Medien interviewt. Die anonymisierten Gespräche wurden anschließend softwaregestützt ausgewertet. Im Ergebnis zeigen sich deutliche Muster: So schildert ein Großteil der befragten Frauen, dass sie keinen Karriereplan verfolgt haben. Die meisten sind durch Kolleg*innen oder Chef*innen ermutigt worden, sich für eine verantwortliche Position zu bewerben. Obwohl es ihnen nicht an Selbstvertrauen für ihre Leistung mangelt, berichten viele der Journalistinnen über große Selbstzweifel, wenn es darum geht, Positionen mit Verantwortung zu übernehmen.

“Diese Wahrnehmung deckt sich mit vielen Beispielen, die uns bei ProQuote Medien erreichen”, so Vorständin Edith Heitkämper, “Frauen trauen sich oft nicht, sich proaktiv auf eine Führungsstelle zu bewerben, wenn sie nicht in allen Punkten den Anforderungen entsprechen. Umso wichtiger ist es, dass Frauen im Journalismus zahlreich an die Spitze gelangen. Damit erfolgreiche Führungsfrauen in den Medien keine Exotinnen sind, sondern die Normalität abbilden.”

Strukturelle Förderung, etwa durch eine kontinuierliche, systematische Entwicklung von Nachwuchsführungskräften, Frauen-Netzwerke oder Mentoring-Programme, haben die Interviewpartnerinnen kaum erhalten. Hingegen berichten sie mehrheitlich von geschlechtsspezifischen Hürden auf ihrem Karriereweg wie Problemen bei der Rückkehr nach der Elternzeit oder Sexismus am Arbeitsplatz. Zudem erweist es sich als große Herausforderung, Führungsaufgaben und Familie miteinander zu vereinbaren, auch wenn viele Medienhäuser inzwischen zeitlich und örtlich flexibles Arbeiten ermöglichen.Die Leiterinnen der Studie, Susanne Lang und Anna von Garmissen, verweisen auf eine hohe Teilnahmebereitschaft unter den angefragten führenden Journalistinnen in Print, Rundfunk und Onlinemedien: „Das Bedürfnis, die persönlich erlebten Erfahrungen zu teilen, um anderen Frauen ihre Karriere im Journalismus zu erleichtern, war in vielen Interviews deutlich zu spüren.“

Aus den Gesprächen leitet ProQuote Medien sieben Handlungsempfehlungen ab. Sie zielen darauf ab, die strukturelle Entwicklung weiblicher Führungskräfte im Journalismus, die Vereinbarkeit und die Unternehmenskultur in Medienhäusern zu verbessern. 

  1. Frauen institutionell stärken, z.B. über Netzwerke, Coaching und Mentoring
  2. Geschlechterparität auf Führungsebenen als Unternehmensziel festschreiben
  3. Redaktionskultur aktiv pflegen und schützen
  4. Vereinbarkeit von Karriere und Privatleben verbessern (z.B. über Betriebskitas)
  5. Führungskräften flexibles Arbeiten ermöglichen
  6. Moderne Arbeitsmodelle in Führung anbieten (Teilzeit, Doppelspitzen)
  7. Geschlechtergerechte Gehaltsstrukturen etablieren und offenlegen

Corinna Cerruti und Edith Heitkämper von ProQuote Medien diskutieren die Ergebnisse am heutigen Mittwoch im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin mit Bundesfrauenministerin Lisa Paus, mit Bascha Mika, der ehemaligen Chefredakteurin der Frankfurter Rundschau, Journalismusforscherin Prof. Dr. Wiebke Loosen und Marie-Louise Timcke, Leiterin Datenjournalismus bei der Süddeutschen Zeitung.

Zitate der Panelistinnen:

Bundesfrauenministerin Lisa Paus: 

“Die Studie zeigt: Es gibt Fortschritte auf dem Weg zu mehr Geschlechtergerechtigkeit im Journalismus. Aber auch, dass wir noch längst nicht am Ziel sind. In Redaktionen, Sendern, Verlagen verdienen Journalistinnen mehrere Hundert Euro weniger als Journalisten. Und da, wo die Entscheidungen fallen, sitzen mehrheitlich Männer am Tisch. Ich unterstütze, dass Lohntransparenz auch bei den Medien als Arbeitgeber Realität wird. Und dass Medienhäuser ihr Personal so entwickeln, dass Frauen in Führungspositionen keine Ausnahme mehr sind. Gleichberechtigte Teilhabe von Frauen ist ein Beitrag zur Qualität im Journalismus. Ich bin dankbar, dass Akteurinnen wie ProQuote unermüdlich Machtstrukturen hinterfragen und Transparenz einfordern. Sorgen wir dafür, dass der Weg für die nächste Generation von Frauen in den Medien gerechter wird!“

Marie-Louise Timcke, Leiterin Datenjournalismus bei der Süddeutschen Zeitung:

“Gehalt und Karrierechancen sollten von Fähigkeiten und Entwicklungspotenzial abhängen – nicht von den Reproduktionsorganen.“

Bascha Mika, ehemaligen Chefredakteurin der Frankfurter Rundschau:“In deutschen Medien wird viermal mehr über Männer als über Frauen berichtet. Woran das wohl liegt? Könnte es vielleicht sein, dass sich in den Redaktionen noch immer zu viel Testosteron breit macht und Frauen die Luft zum Atmen und zum Entscheiden fehlt?“

Prof. Dr. Wiebke Loosen, Medienwissenschaftlerin Leibniz Institut für Medienforschung, Hamburg:

“Es darf nicht allein die Frage des individuellen Durchsetzungsvermögens sein, ob Frauen im Journalismus strukturelle Hürden überwinden können.Die Forschung zeigt, dass diese Hürden noch bestehen. Wir sollten nicht allein den Benachteiligten die Veränderung dieser Strukturen aufbürden. Das muss im geteilten Interesse und eine Aufgabe von allen Beteiligten sein. “

ProQuote-Vorstandsvorsitzende Corinna Cerruti:

„Seit zwölf Jahren kämpfen wir dafür, Frauen in den Medien sichtbarer zu machen und besser zu vernetzen. Es ist 2024 – doch statt Fortschritt sehen wir Rückschritte. Das muss sich ändern! Wer an den Schalthebeln der Macht sitzt, kann die Weichen für echte Gleichberechtigung stellen. Nur durch moderne Führungskultur, flexible Arbeitszeitmodelle und echte Vielfalt in den Chefetagen wird der Journalismus die Gesellschaft in ihrer ganzen Breite repräsentieren.”

Ein PDF der 60-seitigen Studie steht ab sofort zum Download auf www.pro-quote.de/studien/ zur Verfügung. Die Studie wird vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend finanziell gefördert.

Über ProQuote Medien: Der gemeinnützige Verein besteht aus Journalist*innen, Medienschaffenden und Unterstützer*innen. Gegründet wurde er 2012, um die Sichtbarkeit von Frauen in den Medien zu erhöhen. Heute setzt sich ProQuote Medien dafür ein, nicht-männliche Perspektiven im Journalismus abzubilden – für eine vielfältige Medienlandschaft, eine gerechte Machtverteilung im Journalismus und mehr Frauen an der Spitze.

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