textintern: „Wir sind keine Lila-Latzhosen-Frauen“

ti-talk mit Sabine Kartte, stellvertretende Vorsitzende von Pro Quote

Die Frauenquote war 2012 ein großes Thema. Die Diskussion ist zwar nicht neu – erstmalig kam die Quote in den achtziger Jahren auf den Tisch – aber sie wurde von der Arbeitsministerin Ursula von der Leyen neu befeuert, als diese im Frühjahr eine gesetzliche Frauenquote forderte. Darauf folgte eine hitzige Debatte – und im Sommer die Gründung des Vereins ProQuote. Dahinter stecken Journalistinnen, die eine Quote von 30 Prozent in der Medienbranche fordern. text intern sprach mit Sabine Kartte, Textchefin und geschäftsführende Redakteurin beim Stern und stellvertretende Vorsitzende von Pro Quote.

textintern: Wie kam es zu der Gründung von Pro Quote?

Kartte: Das Ganze begann vor einem Jahr mit einem offenen Brief an die Chefredakteure unserer Branche. 350 Journalistinnen hatten diesen Brief unterschrieben, auch viele Männer waren von Anfang mit Foto und Zitat auf der Website, das war ein überwältigender Erfolg. Dazu sammelten sich im Laufe der Zeit mehr als 4000 Unterstützerinnen und Unterstützer. Das Thema liegt in der Luft. Und aus der Guerilla-Truppe musste ein Verein werden, damit wir eine Arbeitsstruktur aufbauen konnten. Wir machen das ja alles nebenbei.

textintern: Gab es einen konkreten Anlass für den offenen Brief?

Kartte: Als Ursula von der Leyen die Frauenquote forderte, haben wir uns in unserer Branche umgeguckt und festgestellt, dass wir wirklich weitab von den von ihr geforderten 30 Prozent sind. Und das in einer Branche, die auf Kreativität und Kommunikation fußt. Das kann so nicht bleiben, haben wir uns gesagt und diese Aktion gestartet.

textintern: Wie ist es um weibliche Führungspositionen im Journalismus bestellt?

Kartte: Unsere große Zahl ist immer noch: 98 Prozent der Chefredakteure in deutschen Medien sind Männer, 2 Prozent Frauen. Und auch in den Ebenen darunter sind Frauen rar. Viele wissen gar nicht, dass es in unserer Branche so düster aussieht. Viele denken, ach in den Medien gibt es doch so viele Frauen. Das stimmt zwar teilweise, vor allem für die Fernsehsender, aber oben kommen die nicht an. Und in den Zeitungen fehlen vielfach auch unten noch Redakteurinnen – viele Autorinnennamen, die Sie da unter Artikeln lesen, gehören zu Kolleginnen, die frei und schlecht bezahlt arbeiten.

textintern: Was verstehen Sie genau unter einer Führungsposition?

Kartte: Das ist nicht so leicht zu definieren. Uns geht es um journalistische Führungspositionen, die inhaltliche Entscheidungsmacht haben. Natürlich freuen wir uns über jede Kollegin, die aufsteigt, auch in technischen Abteilungen oder in der Dokumentation. Aber in diesen Positionen haben sie ja wenig Einfluss auf das, was in der Zeitung steht, gesendet wird oder online geht. Wir gucken da schon genau hin, um welche Art von Stellen es sich handelt, wenn Frauen befördert werden.

textintern: Wie arbeiten Sie als Verein?

Kartte: Wir sind ein Vorstand von neun Frauen. Wir haben die Arbeit unter uns aufgeteilt. Wir treten den Verlagen auf die Füße, schaffen Öffentlichkeit, wenn in wichtige Positionen mal wieder nur Männer befördert wurden. Wir sind als Diskutantinnen auf Podien gefragt, halten Vorträge, geben unseren Mitgliedern die Möglichkeit, sich zu vernetzen. Wir haben jetzt gerade die Zusammenarbeit mit einem international tätigen Headhunter begründet, der Alexander Hughes Group, die sich speziell im deutschen Medienbereich umtut und Frauen in Führungspositionen vermitteln will. Manchmal argumentieren Chefs ja, sie finden keine geeigneten Frauen. Nun können wir ihnen anbieten: Wenn ihr meint, ihr findet keine Frau in euren eigenen Reihen, dann ruft nur an.

textintern: Die Zeit hat kürzlich zur Zukunft des Journalismus sieben Thesen veröffentlicht. In einer ging es um Homogenität und Abgeschlossenheit – die Redaktionen müssten u. a. weiblicher werden. Sehen Sie ebenfalls einen Zusammenhang zwischen der Medienkrise und den wenigen Frauen in Führungspositionen?

Kartte: Ich denke schon. Alle Studien sagen, dass gemischte Teams besser arbeiten, kreativer und intelligenter sind und offener denken. Und wenn man sich die Gesetzmäßigkeiten einer modernen Unternehmensführung anguckt, schreit schon das nach einer Frauenquote. Diese Monokultur ist nicht das Beste, das wir aus unserer Branche herausholen können. Teilweise hat das auch mit dieser Krise zu tun. Nehmen Sie die Umstellung auf digitale Medien – wo ich hingucke, bestehen die Gremien fast nur aus Männern. Meine Kenntnisse als Ökonomin, mein gesunder Menschenverstand, alle Wissenschaften sagen: Das kann nicht gut sein. Wir müssen uns öffnen.

textintern: Wie wirkt sich das Fehlen von Frauen auf journalistische Inhalte aus?

Kartte: Zunächst einmal wird Kompetenz nicht beansprucht, die da ist: die Intelligenz, Kreativität von Frauen. Aber auch die Sichtweisen auf bestimmte Themen unterscheiden sich. Ich glaube nicht, dass es bestimmte Frauenthemen gibt. Aber die Erfahrung zeigt, dass Frauen oft einen anderen Zugang zu Themen haben, bei manchem andere Prioritäten setzen. Über die Hälfte der Mediennutzer sind Frauen. Dass 20 Männer am Redaktionstisch über Titel diskutieren, die Frauen kaufen sollen, ist doch komisch. Ich schätze die Kollegen, aber das ist ein bisschen quer.

textintern: Wie erleben Sie das selbst im Berufsalltag, als Textchefin und geschäftsführende Redakteurin beim Stern?

Kartte: Manchmal ist es schon etwas einsam (lacht). Wir haben ja tolle Kolleginnen beim Stern, aber da, wo die Entscheidungen getroffen werden, noch zu wenige. Wenn man im Impressum genau zählt, ist da noch Luft nach oben, aber das wissen die Chefs auch. Und sie tun ja auch etwas.

textintern: Der Stern hat kürzlich verkündet, in den nächsten Jahren die Hälfte der Führungspositionen mit Frauen zu besetzen. Ist das Ihr persönliches Verdienst?

Kartte: Nein. Das waren eine ganze Reihe von Stern-Frauen, die da Beachtliches geleistet haben. Ich glaube aber, ProQuote spielt eine gewisse Rolle, weil wir das Thema auf kluge Art und Weise weitertreiben, wir sind keine Lila-Latzhosen- Frauen. Dieses Klischee wird ja ganz gern – vor allem von Kollegen – bemüßigt, um zu diskreditieren. Wir sind intelligente Frauen, die gern ihren Job machen und etwas fordern, was eigentlich selbstverständlich ist. Es ist eine konstruktive Diskussion und wir halten sie am Köcheln. Außerdem ist in vielen Chefredaktionen inzwischen angekommen, dass wir wieder auf der Matte stehen, wenn sie nicht das umsetzen, was sie versprechen. Und das wird dann unangenehm.

textintern: Das Hamburger Abendblatt titelte zu Ihrer Sonderausgabe der taz: „Umzingelt von Quoten-Freunden“. Wie kämpft man ohne Gegenwind?

Kartte: Das ist schwierig, das legt die Latte sehr hoch, weil alle eigentlich immer für mehr Frauen in Führungspositionen sind. Auf unseren offenen Brief damals haben aber nur sehr wenige Chefredakteure geantwortet. Inzwischen ist ja Bewegung reingekommen, auch dadurch, dass die Zeit und der Stern sich herausgewagt und gesagt haben: Wir tun etwas. Das ist toll. Unsere Aufgabe ist jetzt zu gucken, ob und wo auch tatsächlich etwas passiert.

textintern: Sie haben namhafte journalistische Vertreterinnen wie Anne Will an Bord. Das schafft Öffentlichkeit für Ihre Sache. Wie sieht es denn mit anderen Berufszweigen aus?

Kartte: Unser Ziel sind die Medien, und da ist ja auch noch genug zu tun. Aber wir kriegen immer mehr Kontaktanfragen von Juristinnen, Medizinerinnen, Unternehmensberaterinnen – in verschiedensten Berufszweigen geht jetzt das Lichtlein an. Das Bedürfnis sich zu vernetzen und zu schauen, wie sich die anderen organisieren, ist da. Da entsteht ein reger Austausch und das begrüße ich sehr.

textintern: Wie lange wird es wohl dauern, bis die 30 Prozent erreicht sind?

Kartte: Wir fordern die Quote bis 2017, auf allen Hierarchiestufen. Aber es kann gern auch schneller gehen. Denn diese reinen Männerriegen werden ja immer altertümlicher. Das ist mit einem modernen Medienbild nicht zu vereinbaren. Und 30 Prozent sind nicht viel, das sind ja immer noch 70 Prozent Männer.

textintern: Was nimmt sich ProQuote für 2013 vor?

Kartte: Wir planen einige Projekte – wir hatten gerade eine Strategietagung. Dazu kann ich aber noch nichts sagen, wir wollen ja immer ein wenig überraschend sein. Wir werden weiterhin beobachten, was sich in den oberen Rängen der Redaktionen und Intendanzen tut – oder eben nicht tut. Auf jeden Fall feiern wir zu unserem Einjährigen im Februar eine große Party. Das können wir richtig gut.

Quelle: textintern. Das Interview entstammt der textintern-Ausgabe Nr. 50 vom 12. Dezember 2012.

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