„Macht hat, wer die Sicht auf die Welt bestimmt“ – ProQuote bei den Thüringer Mediengesprächen am 9. Juli 2013

Bei den Thüringer Mediengesprächen war die Berliner Journalistin Gemma Pörzgen für ProQuote vertreten. Es gab eine lebendige Debatte mit rund 40 Teilnehmern um die Vereinbarkeit von journalistischer Arbeit und Familienleben. Mehr Infos und das Impulsreferat, dass die Berliner Journalistin Gemma Pörzgen für ProQuote vor Ort gehalten hat, findet ihr hier.

Besonders bewegend war der Beitrag der Moderatorin Sina Peschke von der LandesWelle Thüringen. Sie erzählte, wie es in ihren Anfängen beim Radio noch hieß, Frauen dürften morgens nicht moderieren, und sie immer nur ersatzweise einspringen durfte.

Das sei lange her. Ihr jetziger Chef wollte sie unbedingt morgens auf Sendung bringen und ließ ihr zu Hause im Keller ein Tonstudio einrichten, sodass die Moderatorin das Frühstück mit ihren Kindern und den Job gut vereinbaren kann.

Heute ist die populäre Radiomoderatorin so erfolgreich, dass sie  mit dem „Deutschen Radiopreis“ in der Kategorie „Beste Moderation“ ausgezeichnet wurde.

Für ProQuote hat Gemma Pörzgen ein sehr lesenswertes Impulsreferat gehalten Titel: „Macht hat, wer die Sicht auf die Welt bestimmt“.  Hier gibt es den Text als Podcast. Sie können es aber auch nachlesen:

Guten Abend, meine Damen und Herren,

 im Nachrichtenmagazin „Spiegel“ fand sich unter den „Personalien“ letzte Woche  eine kleine, unscheinbare Meldung, die folgende Szenerie  beschreibt:

 „Ursula von der Leyen, 54, Bundesarbeitsministerin (CDU), nervt auch die Großen der Weltpolitik. Anlässlich des 90. Geburtstags des ehemaligen US-Außenministers Henry Kissinger hatte der amerikanische Botschafter Philip Murphy in seine Berliner Residenz geladen. Kissinger wollte von den Gästen wissen, wie sie die Lage in Syrien einschätzen und welches für sie die Top-Prioritäten in der Weltpolitik seien. Von der Leyen antwortete umgehend: „Unser wichtigstes Problem ist die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit.“ Kissinger, so berichteten Teilnehmer, glaubte sich verhört zu haben. „Meinen Sie wirklich, das ist das größte weltpolitische Problem?“, fragte er zurück. Von der Leyen bestätigte dies ungerührt. Andere Gäste, darunter Gesundheitsminister Daniel Bahr und andere Bundestagsabgeordnete schienen peinlich berührt.“

 Leider gibt es unter dieser Meldung kein Kürzel, das auf den Autor hinweist, aber ich wette mit Ihnen es war keine Frau, die das beobachtet hat und so niederschrieb. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, meine Damen und Herren, aber ich finde es keineswegs peinlich, einen 90jährigen Greis, der  in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts US-Außenminister war, daran zu erinnern, dass es heute in der Weltpolitik des 21. Jahrhunderts drängende Fragen gibt, die er als „Elder Statesman“ vielleicht unterschätzt. Und die Zukunft der Jugend und deren verbreitete Perspektivlosigkeit,  das zeigen nicht nur die dramatischen Arbeitslosenzahlen junger Leute in der EU, ist eine der großen politischen Herausforderungen unserer Zeit. 

Die kleine Meldung vermittelt mir bei der Lektüre das Gefühl, als habe sich da eine Herrenrunde durch eine Frau gestört gefühlt und als habe der Autor seinem Leser vermitteln wollen, wie unprofessionell die Ministerin in diesem illustren Kreis aufgetreten sei.

 Als Kollegin und Leserin ärgere ich mich über solche Meldungen, die ich als frauenfeindlich und unangemessen empfinde.  Denn es ist viel zu häufig so, dass die Perspektive von Frauen nicht ausreichend berücksichtigt wird.

 Da bittet der gleiche „Spiegel“ sieben deutsche Intellektuelle darum, sich in einem kurzen Text über den Afghanistan-Krieg zu äußern. Es sind sieben Männer, als gäbe es in Deutschland keine einzige intellektuelle Frau, die es wert wäre, auch einmal gefragt zu werden. Stattdessen sind es Texte  von Günther Grass, Hans-Magnus Enzensberger, Claus Peymann, und ein paar anderen prominenten Männern – immerhin sind nicht alle von ihnen über 70.   

 Da wird Julia Jäkel zur Vorstandschefin von Gruner und Jahr berufen und die „Welt“ wählt die Überschrift „Ulrich Wickerts Frau wird Chefin von Gruner und Jahr“, als wäre der pensionierte Mr. Tagesthemen der ausschlaggebende Grund für ihre neue Aufgabe.

Da schalten Sie den Fernseher ein und sehen Talkrunden, in den meistens Männer sprechen. Nur, wenn es bei Günther Jauch um die „Herdprämie“ geht, steigt auch der Frauenanteil der Gäste.

 „Macht hat, wer die Sicht auf die Welt bestimmt.“ So hat es unsere ProQuote-Mitstreiterin Bascha Mika und frühere taz-Chefredakteurin treffend auf den Punkt gebracht.  Deshalb muss es nicht nur uns als Journalistinnen interessieren, wer in den Redaktionen heute die Sicht auf die Welt maßgeblich prägt.  Der Frauenanteil in den Redaktionen ist vor allem deshalb so bedeutsam, weil er sich auch auf die Medieninhalte auswirkt.

 Oberflächlich betrachtet sieht es bereits so aus, als seien Frauen in den Medien sehr präsent. Sie moderieren Nachrichtensendungen und politische Talk-Shows, schreiben Leitartikel und sind Auslandskorrespondentinnen.  Die meisten freien Journalisten sind Frauen. Unter den Absolventen der Journalistenausbildungsgänge stellen Frauen heute häufig sogar die Mehrheit.

 Doch schaut man in die Chefetagen dominieren weiter die Männer. Bei den 360 deutschen Tages- und Wochenzeitungen sind heute nur zwei Prozent der Chefredakteure Frauen. Auch an der Spitze der Nachrichtenmagazine stehen fast ausschließlich Männer.  Von den zwölf Intendanten-Posten in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind nur zwei von Frauen besetzt. Als Monika Piel den WDR verließ, standen als mögliche Kandidaten wieder einmal nur Männer zur Diskussion. Auch der neue Spiegel-Chefredakteur ist natürlich wieder ein Mann. 

 Unser Verein Pro Quote will das verändern. Wir sind zu der Erkenntnis gelangt, dass sich die Verhältnisse nur wandeln, wenn eine Quote Männer und Frauen in den Medien dazu zwingt, Macht und  Verantwortung stärker zu teilen. Denn bislang sitzen in den Führungspositionen nicht unbedingt die Besten, sondern die Besten aus den männlich geprägten Buddy-Strukturen.  Männer fördern nun Mal überwiegend Männer.

 Wir sind fest davon überzeugt, dass allein die Quote dazu beitragen kann, die Führungskultur zu modernisieren und die gläserne Decke zu sprengen. Gemischte Führungsteams gelten als kreativer und der Kommunikationsstil verändert sich positiv.  Frauen tragen dazu bei, langwierige Konferenzen erheblich zu verkürzen und eine familienfreundlichere Arbeitskultur zu etablieren, die Männern und Frauen dabei hilft, Familie und Job besser zu vereinen. Frauen in Führungspositionen sind darüber hinaus auch wichtige Vorbilder für junge Journalistinnen.

 Weil wir für diese Ziele eintreten, haben wir in Hamburg vor rund einem Jahr im Juni 2012 den Verein ProQuote gegründet. Unter unseren Mitstreiterinnen sind viele prominente Journalistinnen wie die Intendantin des RBB, Dagmar Reim, die taz-Chefredakteurin Ines Pohl oder die ZDF-Moderatorin Dunja Hayali. Interessant war aber auch zu erleben, dass einige Kolleginnen Angst hatten, sich bei uns zu engagieren, weil sie fürchteten, in ihren Medienhäusern wegen ihres frauenrechtlichen Engagements Probleme zu bekommen.  Auch das lässt tief blicken.

 Vorausgegangen war im Februar 2012 eine Briefaktion von 350 Journalistinnen, die viel Aufmerksamkeit erregte. Dabei war es nur ein kurzes Schreiben an alle Chefredakteure, Verleger und Intendanten in ganz Deutschland, in dem die Initiative ProQuote sie  aufforderte, die Führungspositionen ihrer Redaktionen auf allen Hierarchieebenen bis 2017 mit mindestens 30 Prozent Frauen zu besetzen. Die unterschiedlichen Reaktionen haben wir auf unserer Webseite veröffentlicht und innerhalb weniger Tage mehr als 1500 Unterstützer für unsere Forderung gefunden. 

 Seither wird ProQuote nicht müde, sich einzumischen und öffentlich zu Wort zu melden. So kritisierten wir beispielsweise im Mai 2012, dass die zu 80 Prozent von Männern besetzte Jury die Preisträger des Henri-Nannen-Preises kürte und darunter keine einzige Frau prämierte. Im November 2012 kaperten wir die taz, und es erschien eine von ProQuote gestaltete Wochenendausgabe mit der Schlagzeile „Hosen runter von den Chefsesseln – Röcke hoch!“. Die taz hatte uns am Tag zuvor ihre Redaktionsräume zur Arbeit an dieser Sonderausgabe überlassen und am Tag des Erscheinens gab es eine öffentliche Redaktionskonferenz mit prominenten Journalisten und Politikerinnen.

 Wir haben uns seither mit anderen Organisationen vernetzt, dem Journalistinnenbund, dem Deutschen Journalistenverband und anderen Initiativen. Unterstützt wird unser Anliegen auch von bekannten männlichen Journalisten, wie dem TV-Moderator Ranga Yogeshwar, WDR-Chefredakteur Jörg Schönenborn oder dem Blogger Sascha Lobo. Unser Verein ist auch für männliche Mitglieder offen, denn es geht uns um ein besseres Miteinander. Schließlich ist die Frauenquote ein erster Schritt dazu, in den Medien eine größere Vielfalt zu erzielen.  

 Unser kleiner Verein hat in dem einem Jahr seiner Existenz bereits einiges erreicht.  Es ist uns vor allem gelungen, die Forderung nach der Quote in die Redaktionen und in die breitere Öffentlichkeit zu tragen. Als Journalistinnen konnten wir leicht für ein Medienecho sorgen, dass unserem Anliegen nützt. Das strahlt auch auf andere Berufsgruppen aus. So haben Juristinnen und Medizinerinnen inzwischen ähnliche Aktivitäten gestartet.

 Ein Jahr nach der Gründung fällt unsere Bilanz eher gemischt aus. Einerseits sind in einigen Redaktionen Frauen aufgestiegen, beispielsweise bei der „Zeit“ mit der Ernennung der neuen stellvertretenden Chefredakteurin Sabine Rückert. Andererseits sitzen viele Chefredakteure unser Anliegen aus. Der Stern-Chefredakteur Thomas Osterkorn hatte im vergangenen Jahr in einem Editorial mit dem Titel „Frauen an die Macht“ große Veränderungen angekündigt. Stattdessen rückten beim Stern kürzlich drei Männer an die Spitze. Wir machen also weiter und lassen nicht locker. 

Dabei konzentriert sich unser ehrenamtliches Engagement neben der Öffentlichkeitsarbeit und der Teilnahme an Veranstaltungen auch darauf, Journalistinnen miteinander zu vernetzen. In Hamburg, Berlin und München treffen sich regelmäßig Regionalgruppen, in den sich Kolleginnen austauschen und sich gegenseitig unterstützen. Auf diese Weise helfen wir auch dabei, das Argument zu entkräften, dass bei der Besetzung von Führungspositionen keine geeigneten Frauen zur Verfügung stünden. Wir haben genügend Kolleginnen in den eigenen Reihen. 

 Allerdings stoßen wir in unseren Debatten auch darauf, dass wir Frauen uns manchmal selbst ein Bein stellen. Als Beispiel möchte ich die Talkrunden anführen, denn selbst bei unseren ProQuote-Mitglied Anne Will sind nicht wesentlich mehr Frauen vertreten als bei Günther Jauch. Ich habe ihr bei einem unserer Hamburger Treffen deshalb die Frage gestellt, warum das so ist? Ihre Antwort war, dass es leider nur wenige Frauen gibt, die einen Auftritt zusagen. Stattdessen gibt es häufig Absagen von weiblichen Gästen, oft sogar sehr kurzfristig.  Außerdem seien es bei den Zuschauerreaktionen vor allem Zuschauerinnen, die nach dem Auftritt eines weiblichen Gastes zum Teil äußerst kritisch reagierten.  

 Diese Beobachtungen einer Journalistin, die der Diskriminierung von Kolleginnen gänzlich unverdächtig ist, passt auch zu der Rückmeldung aus einigen Redaktionen, dass Frauen nicht selten davor zurückschrecken, wenn ihnen Leitungspositionen angeboten werden. Häufig ist die Frage, ob sich eine Führungsposition und deren zeitlicher Aufwand tatsächlich mit dem alltäglichen Familienmanagement vereinen lässt, für viele Frauen der Grund, das Angebot einer Leitungsposition doch abzulehnen oder sich gar nicht erst zu bewerben.

Diese Risikoscheu, diese Angst vor Verantwortung, ist meiner Ansicht nach auch ein wichtiger Punkt, bei dem wir uns als Journalistinnen nicht herausreden sollten. Außerdem sind Frauen nicht unbedingt die besseren Chefs. Einige Kolleginnen, die ich als Mitstreiterinnen für ProQuote gewinnen wollte, lehnten dankend ab, weil sie in ihrem Berufsalltag unter einer Chefin zu leiden hätten, die „schlimmer sei als ein Mann“.  Auch darüber müssen wir reden.

Unseren Einsatz für die Frauenquote in den Medien schmälert es allerdings nicht.

 

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