Christina Knorz ist Chefredakteurin beim Nordbayrischen Kurier – und damit eine absolute Rarität an der Spitze der Regionalzeitungen. Im Pro Quote-Interview spricht sie über ihren Weg, neue Führungskultur und das Leben zwischen Weißrückenmännern.

Frau Knorz, ProQuote hat den Frauenanteil in den Chefredaktionen von 102 deutschen Regionalzeitungen verglichen. Sie sind eine von insgesamt nur sechs Chefredakteurinnen. Überrascht Sie diese Zahl?
Christina Knorz: Nein, das überrascht mich nicht. Weil die Branche auf Führungsebene immer noch eine Männerdomäne ist. Ich schaue seit Jahren auf Konferenzen nur auf dunkelblaue, graue und schwarze Anzugrücken. Ich stelle aber auch Veränderungen fest.

Wo denn?
Auf Stellvertreter- und Ressortleiterebene bewegt sich etwas. Es braucht in den Medien Umbruchsituationen, damit Frauen von dort dann aufrücken können.

Die Wirtschaft setzt auf Frauenquoten, in der Politik gibt es immer mehr Frauen, die immer mehr zu sagen haben. Warum hinkt die Medienbranche so hinterher?
Tageszeitung ist eben kein modernes Medium. Das Zeitungsgeschäft hat eine lange Tradition – und das ist leider gleichbedeutend mit männlicher Führung.  Es dauert viel, viel länger, bis sich Veränderungen zeigen. Im digitalen Bereich hingegen sind Frauen an der Spitze selbstverständlich.

Ist die Durchlässigkeit in Regionalzeitungen besonders gering?
Ja, denn trotz der oft kleinen Verbünde sind die Strukturen hier unbeweglich und konservativ. Man braucht immer einen, der sagt: Ich will das jetzt ändern. Das ist meistens ein Mann. In meinem Fall war es der Geschäftsführer, der gesagt hat: Jetzt kommen Frauen in die Entscheiderpositionen. Er hatte erkannt, dass Frauen, die etwas bewegen wollen, Veränderungen annehmen, sich weiterentwickeln und unglaublich Gas geben. Darum hat er vielen Frauen die Chance gegeben, sich im Verlag zu entwickeln.

Talent reicht also nicht aus?
Es geht nicht ohne dass ein Chef die Weichen stellt.

Wir hören häufig das Argument: Ich würde ja Frauen einstellen, aber es kommen keine.
Es kann schon sein, dass manche Frau selbst nicht auf die Idee kommt, sich zu bewerben. Viele Frauen denken, sie müssten besser sein als Männer. Dabei müssen sie ja einfach nur genauso gut sein. Trotzdem finde ich das Argument fadenscheinig. Es scheint mir auch nicht gedeckt zu sein. Wir müssen nicht darüber diskutieren, ob Frauen und Männer in der Lage sind, dieselbe Arbeit zu machen. Es braucht eher denjenigen, der sagt: Mach du das doch.

Und sehen Sie da Bewegung?
Die alte Riege stirbt aus. Es kommt eine neue Generation von Männern nach, die in einer gleichberechtigten Gesellschaft aufgewachsen ist mit starken Müttern, die arbeiten gegangen sind. Für die ist das kein Thema mehr. Die haben kein Problem mit Frauen als Chefs.

Haben das die derzeitigen Entscheider etwa?
Es ist für sie zumindest gewöhnungsbedürftig. Das betrifft übrigens vor allem höher gebildete akademische Männer. Im Handwerk oder der Landwirtschaft waren Frauen in verantwortungsvollen Posten immer normal. Dort geht es darum: Machst du deinen Job gut? In akademischen Bereichen gibt es ein seltsames Autoritätsverständnis aufgrund von Erbfolge, Macht oder anderen Faktoren. Im Lokaljournalismus ist das ein riesiges Problem. Darum ist es auch gut, wenn die Chefs häufiger wechseln und in dem Zuge darüber gesprochen wird: Was macht einen guten Lokalverlag aus? Wir sind ja alle keine geborenen Führungskräfte. Wir wollten Journalisten sein, und aus den guten Schreibern ist der Nachwuchs für die Chefetage herangezüchtet worden. Das ist vielleicht nett gedacht, aber eben auch ohne Strategie.

Könnten Förderungsprogramme für Frauen auf redaktioneller Ebene helfen?
Es braucht einfach aufmerksame Chefs, die erkennen, ob Mitarbeiter Lust auf mehr Verantwortung haben – ob Mann oder Frau.

Wie war das bei Ihnen? Wussten Sie, dass Sie Chefredakteurin werden wollen?
Ja. In einem Personalgespräch als Volontärin habe ich auf die Frage, was ich im Verlag mal werden will, gesagt: Chefredakteurin. Aber ich habe dieses Ziel nicht von Anfang an verfolgt.

Wie sind Sie schließlich an die Spitze gekommen?
Ich wollte eigentlich den Verlag verlassen, weil es mir nicht mehr gefallen hat. Es waren verkrustete Strukturen, unbewegliche Abläufe, wenig kreativer Freiraum. Das hatte mit dem Journalismus, wie ich in mir vorstelle, nichts zu tun. Ich ließ mir also mein Zeugnis schreiben – und dann kam das Angebot, stellvertretende Redaktionsleiterin zu werden.  Ich war also aufgefordert zu beweisen, was ich umsetzen kann. Das hat mich überzeugt.

Haben Sie jemals gezweifelt?
Nö. Ich mag Herausforderungen. Dass es nicht einfach ist, das ist ja mit jedem neuen Schritt so.

Wir hören immer wieder: Frauen trauen sich verantwortungsvolle Aufgaben eben weniger zu.
Ich kann das nicht bestätigen. Es ist eher eine Typfrage. Es gibt Frauen, die darauf Lust haben und Männer, die keine Verantwortung übernehmen wollen.

Was verändert sich eigentlich an der Zeitung, wenn eine Frau an der Spitze ist?
Wahrscheinlich nicht so viel. Ich habe die vergangenen sechs Jahre mit Joachim Braun an der Spitze daran gearbeitet, eine gute Zeitung zu machen. Es gibt gute und schlechte Journalisten, und einen alten und einen neuen Journalismus, der die Menschen begeistern und mitreißen will. Der anders erzählt, mehr aufdröselt und die Hintergründe beleuchtet.

Wenn sich der Lokaljournalismus derzeit hinterfragt – ist das gut oder schlecht für die Frauen?
Der nötige Wandel findet auch mit einem Umbruch in den Führungsetagen statt. Das alte, hierarchische Bild des Chefredakteurs, der einem Großgrundbesitzer gleich hinter seinem Schreibtisch thront, ist Gift für einen Wandel. Die Strukturen sind heute teamorientiert. Wir sind heute netzwerkgetrieben – wenn man da versucht, autoritär zu führen, scheitert man. Nur, wenn wir auch im Team arbeiten, können wir ansatzweise verstehen, was in dieser genetzwerkten Welt passiert. Ich finde es wichtig, dass Frauen da reinkommen, damit sich diese Strukturen verändern.

Machen Frauen das besser?
Natürlich machen sie nicht alles besser, aber diese Runden aus Weißrückenmännern – ein Elend! Gemischte Gruppen sind besser für das Klima, für den Austausch, für die Redaktionen. In großen Firmen ist das ja mittlerweile angekommen. Da sind Lokalredaktionen oft noch sehr hinterher – so wie manche Lokalzeitungen Vereinsberichte noch in Schwarz-Weiß drucken, so liegen auch manche Organisationsstrukturen noch etliche Jahrzehnte zurück.

Vertrauen Sie darauf, dass die Frauen schon reinrutschen werden?
Wenn ich auf meine Redaktion schaue, würde ich sagen: Auf jeden Fall. Aber Sie brauchen natürlich trotzdem einen Geschäftsführer oder Verlagsleiter, der das umsetzt. Ich bin auch für Initiativen wie ProQuote, weil sie den Finger auf die Wunde legen. Bis sich die Strukturen ändern, ist es noch ein weiter Weg, und es passiert nicht von allein.

Sind Sie für die Quote?
Ich finde eine Quote wichtig, um darüber zu diskutieren, was einen guten Chef ausmacht. Das Gegenargument, dass man schlechtere Frauen besseren Männern vorzieht, stimmt nicht, denn es geht ja nur um die Bevorzugung bei Leistungsgleichheit.

Manche Führungsfrauen lehnen oft die Quote ab – sie wollen keine Quotenfrau sein.
Ich kann die Bedenken verstehen, weil es so klingt, als habe man seinen Job nicht rechtmäßig bekommen. Aber das nehmen Frauen viel zu ernst – sie sollten lieber schauen, dass sie den Job ordentlich gemacht bekommen. Denn entlassen wird ja auch gleichberechtigt.

Was raten Sie jungen Journalistinnen?
Eine sehr gute Arbeit zu machen. Und sich genau anzuschauen, wie dieses Machtspiel funktioniert. Natürlich muss man verstehen, wie Menschen auf Führungspositionen ticken. Damit man irgendwann in der Lage ist, da mitzuspielen.

Wie sieht es eigentlich mit Ihrem Führungsstil aus – was machen Sie anders als manche männlichen Kollegen?
Ich gehe zum Beispiel anders mit Kolleginnen und Kollegen mit Kindern um. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist im Journalismus eine Katastrophe. Dabei sind die Frauen und hoffentlich bald auch immer mehr Männer, die nach der Elternzeit zurückkommen, so motiviert! Ich lass sie einfach machen. Ob sie in der Redaktion sitzen oder zu Hause, ist mir egal – denn ich weiß, ich kann mich auf sie verlassen, dass sie gute Arbeit machen.

 

In Deutschlands Regionalzeitungen bestimmen fast ausschließlich die Herren das Spiel.
95 Prozent der Chefredakteure aller 100 Regionalblätter, die noch den Mantel selber produzieren, sind Männer.
Hier geht es zur interaktiven Karte: Regionalliga

Querverweis: Mit dem Begriff Frauen* beziehen wir uns auf alle Personen, die sich als Frauen identifizieren oder von der Gesellschaft als Frauen gelesen werden, einschließlich Transfrauen, Intersexuellen, Nonbinary Personen und allen, die sich mit dem weiblichen Spektrum identifizieren, um die Vielfalt und Komplexität von Geschlechtsidentitäten anzuerkennen und einzuschließen.

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